Künstler wehrt euch! von Amiri Baraka

Radio LORA, July 2011

Naropa University, Boulder, Colorado am 8. Juli 2010

Berühmtheit erlangte Amiri Baraka in den 1960er Jahren noch unter seinem alten Namen LeRoi Jones. Sein Off-Broadway Stück „Dutchman“ war 1964 ein Riesenerfolg. Später nannte er sich Amiri Baraka und wurde zu einem der führenden Vertreter der Black Arts Bewegung. Zu seinen zahlreichen Auszeichnungen als Dramatiker und Dichter gehört auch der American Book Award für sein Lebenswerk. Er ist Mitglied der American Academy of Arts and Letters. Von seinen vielen Büchern dürften „Home“ und „Digging“die bekanntesten sein.

Das Stück “Corporate Control of the Arts: Censorship and Commercialism” war mein Beitrag zum Vision Festival in New York. Meine Oper „The Sisyphus Syndrome“, für die David Murray die Musik schrieb, wurde im Februar 2010 in Paris und Mailand aufgeführt. Der Titel ist eine Verneigung vor (dem führenden US Vertreter der schwarzen Bürgerrechtsbewegung) William E.B. DuBois, (1868-1963), der den Überlebenskampf der Afroamerikaner mit dem griechischen Sisyphus-Mythos verglich. Weil er nicht sterben wollte, wurde Sisyphus von den Göttern dazu verdammt, ewig einen Stein einen steilen Hang hinauf zu rollen, doch sobald er den Gipfel erreicht, entgleitet ihm der Stein und er muss wieder von unten beginnen. Auch die Afroamerikaner wollten nicht sterben, sie überlebten Sklaverei und Rassentrennung und wurden Amerikaner. Und bis heute rollen sie den Stein den Hang hinauf. Die Wahl Barack Obamas zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika stand für den Aufstieg, doch mit Sarah Palin und den Tea Party Junkies folgte der Absturz. Die Zusatzartikel 13, 14 und 15 unserer Verfassung beendeten die Sklaverei, garantierten gleiches Recht vor dem Gesetz und gaben uns das Wahlrecht. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass nach der Abschaffung der Sklaverei, für die Menschen nichts als bloße Ware waren, ein neues Gesetz Wirtschaftsunternehmen zu juristischen Personen erklärte, mit den gleichen Rechten und Pflichten wie Sie und ich. Doch weder ein Toter noch ein Konzern ist eine lebendige Person. Das Jahres-Bruttoeinkommen von General Motors beträgt – trotz Krise – 800 Milliarden Dollar, das Bruttosozialprodukt aller Afroamerikaner zusammen beträgt 700 Milliarden. Beide sind nach diesem bizarren Gesetz gleichberechtigte Personen! Man muss nicht Zyniker sein, um zu behaupten, dass die schwarzen und weißen Arbeiter ihre Emanzipation von der Leibeigenschaft mit der Lohnabhängigkeit von angeblich menschenähnlichen Konzernen bezahlt haben. Wer immer glaubt, dass Obama auch nur das Geringste gegen die Macht der Konzerne, ihren weltweiten Einfluss und ihre allgegenwärtigen Lobbyisten ausrichten kann, irrt. Man braucht sich ja nur das Ringen um die bescheidene Reform der Krankenversicherung vor Augen halten.

Die meisten Kongressabgeordneten, Senatoren und Vertreter des Repräsentantenhauses sind keine Volksvertreter sondern Wirtschafts-Lobbyisten. Im Juni 2010 hob der Oberste Gerichtshof die Höchstgrenzen für Wahlspenden auf. Damit war das Ende der Demokratie eingeläutet, denn wer zahlt, bestimmt was gemacht wird. Dieses Urteil war natürlich eine Reaktion auf die vielen, vielen Kleinspenden, die Obama im letzten Wahlkampf durch das Internet einwerben konnte.

Als die Banken und die Autoindustrie torkelten, verfasste ich einen Aufruf: „Präsident Obama, keine Rettungspakete. Verstaatlichen Sie die Banken!“ Aber Obama schnürte fleißig Rettungspakete für Milliardäre, damit sie die Pensionskassen retten und kleinen Firmen Kredite gewähren können. Was taten die Banken? Sie dachten gar nicht daran, Kredite zu gewähren und die Zwangsversteigerungen von täglich 6 000 Häusern gingen unvermindert weiter. Einige Finanzfirmen und Banken überlebten die Krise nicht, aber die meisten gingen sogar gestärkt daraus hervor.

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Als ich einmal einen befreundeten Millionär fragte, warum Millionäre sich so wenig aus Kunst und Künstlern machten, gab er mir zur Antwort, sie seinen so schwer prognostizierbar, ganz so, als ob die Märkte prognostizierbar wären! Tatsächlich fürchten sie den menschlichen Faktor, denn Künstler könnten sich ja erdreisten, Wahrheiten auszusprechen. Unsere berühmte Redefreiheit gilt  ja nur solange wie man nichts sagt. Für Lenin ist jeder Künstler, der vorgibt, frei und uneingeschränkt zu sein, eine Prostituierte, die gerne Prostituierte ist. Demokratie setzt Unabhängigkeit voraus, doch wenn die Sechs Zehntel des einen Prozents, das in unserer Gesellschaft den Ton angibt, von „Freiheit“ sprechen, dann meinen sie etwas ganz und gar anderes als wir. Für diese Leute bedeutet Freiheit, die unbegrenzte Möglichkeit, unsere Welt nach ihrem Gutdünken zu gestalten.

Weil man seit Reagan unsere Steuergelder lieber in Wirtschaftsprojekte statt in die Kunst.investiert, hat die Abhängigkeit der Kunst vom Kapital ständig zugenommen. Das Hängen am Tropf privater Geldgeber unterwirft die Kunst – gewollt oder ungewollt – auch einer Zensur. Welche Kunst gedruckt, gespielt oder ausgestellt wird, hängt fast ausschließlich vom Wohlwollen ängstlicher Kunstbanausen ab.

Nur wenn wir erkennen, dass in den USA eine reine Wirtschaftsdiktatur herrscht, werden wir verstehen, warum Kunst und Bildung hierzulande so wenig gelten. Jeder Künstler, der sich nur der Schönheit und der Wahrheit verpflichtet fühlt, wird sehr schnell von den Lügen der Werbung und den falschen Schönheitsidealen der Industrie überrollt.

Nicht immer erfolgt die Zensur durch das Kapital so offensichtlich wie durch Rockefeller, der alle Bilder von Diego Rivera , auf denen Lenin abgebildet war, einfach abhängen ließ. Es gibt weit subtilere Methoden, die Kunst und das, was man für Kunst hält, zu beeinflussen. Das Fernsehen trivialisiert und indoktriniert unser Denken ständig nur im Sinne der Gewinnmaximierung. Voraussetzung für den künstlerischen Erfolg scheint es zu sein, so zu tun, als gäbe es einen Unterschied zwischen Politikern und Lobbyisten. Während für Lenin die Kunstkritik ein Teil des Klassenkampfes sein soll, ist die Kunstkritik in den USA nichts anderes als ein korruptes Werbeunternehmen, das kritische Gedanken unterdrückt, aber jeden Quoten bringenden Kitsch bejubelt. An der Wall Street werden vor unseren Augen weiterhin Millionen-Dollar Boni gezahlt, während die Opfer der dort verursachten Wirtschaftskrise unter drastischen Sparmaßnahmen leiden. Richard Furd, von Lehman Brothers, beklagte sich öffentlich darüber, dass er nach dem Kollaps keine 134 Millionen, sondern nur 34 Millionen Dollar bekommen hatte. Nach einigem Zögern gestand Lloyd Blankfein von Goldman Sachs, dass er 60 Millionen Dollar erhalten hatte, während tagtäglich 6.000 verzweifelte Familien hilflos zusehen müssen, wie ihre Häuser zwangsversteigert werden und die Gelder für Kunst, Schulen und Universitäten auf Null zusammen gestrichen wurden. In Newark waren wir gezwungen, unseren fast 30 Jahre alten Traum von einem Museum für afroamerikanische Musik zu Grabe zu tragen. Doch nicht nur an der Kunst wird gespart, auch im Wohnungswesen, bei den Kinderkrippen, einfach bei allem, was der Arbeiterklasse zugute käme. In New Jersey wurden an öffentlichen Schulen 2 400 Lehrer entlassen. Warum auch nicht, denn die Kinder der Leute, die dies entscheiden, gehen ja nicht in öffentliche Schulen. Die New York Times berichtete von einem Mann, der jahrelang über das Musikverständnis von Tieren geforscht hatte, erst als er das garstige Wort „Musik“ aus seinem Antrag strich, flossen die Forschungsgelder weiter. Gerne rät man uns Künstlern, einen „richtigen“ Beruf zu erlernen. Doch welcher Künstler kann heute überhaupt noch ohne einen richtigen Beruf überleben?

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Um überleben zu können, müssen sich die Künstler regional, national und international zusammenschließen und gemeinsam für ihre Sache kämpfen. So wie damals, als das Black Arts Movement in den 1960er Jahren nach Harlem marschierte und jeden Tag Lastwagen mit Musik, mit Gemälden, mit Theaterstücken und mit Gedichten zu den Parks, Spielplätzen und Bauruinen schickte, um so die Kunst zu den Menschen zu bringen. Denn nur gebildete, informierte Menschen können verstehen, was in unserer Gesellschaft vor sich geht. Wir dürfen Kunst nicht nur als Mittel der Unterhaltung sehen, sondern auch als ideale Waffe im Kampf um soziale Gerechtigkeit. Mao sagte: „Alle Kunst ist Propaganda, aber nicht jede Propaganda ist Kunst.“ Auch für DuBois war Kunst nur Kunst, wenn sie auch Propaganda war.

Warum und für wen schreiben wir? Wie kann man mit einem Gedicht, einem Artikel, einem Gemälde, einem Konzert, einem Lied oder einer Skulptur die Kunst und die Menschen vor ihren Widersachern schützen? Um gemeinsame Strategien entwickeln zu können, brauchen wir unbedingt eine eigene Website, einen internationalen Newsletter und neben vielen Einzelpersonen auch die Unterstützung durch Organisationen und Arbeitsgruppen.

Die Dichtung der turbulenten 60er Jahre, egal ob weiß, schwarz oder latino war ein Spiegelbild der turbulenten Zeit, in der es noch an Schulen Rassentrennung gab und weiße Rassisten ungestraft den 14 Jahre alten schwarzen Emmett Till umbringen konnten, Rosa Parks verhaftet wurde, weil sie im Bus ihren Sitzplatz nicht für einen Weißen räumte und auf Martin Luther King ein Bombenattentat verübt wurde. Es war aber auch der Anfang der Bürgerrechtsbewegung, die Zeit Malcolm X, der Studenten-Unruhen in Greensboro, der kubanischen Revolution und der Ermordung Patrice Lumumbas.

So wie damals auch viele Künstler vor dem UN-Gebäude in New York protestierten, so müssen wir heute unser Schicksal in die Hand nehmen. Dabei könnten uns vielleicht Maos drei Ebenen des Lernens behilflich sein.:

Die erste Ebene ist die Wahrnehmung, ist unsere Antenne für das, was um uns vor geht. Die zweite Ebene ist die Vernunft, die fragt, was das ist,was da in der Welt passiert. Auf der dritten Ebene beginnen wir uns zu fragen, welche Schlussfolgerungen aus dem Erkannten zu ziehen sind.

Trotz aller noch so berechtigten Kritik an Barack Obamas Politik, über eines sollten wir uns stets im Klaren sein. Obama ist kein Sozialist und er hat auch nie versprochen, uns den Sozialismus zu bringen. Und es waren die Schwarzen, die als sie genug hatten von Bush, einen Schwarzen zum Präsidenten gewählt haben. Darum müssen wir, selbst wenn wir noch so enttäuscht sind, zusammenhalten, sonst wird der Stein des Sisyphus wieder herunter rollen und zwar ganz gezielt auf unsere Köpfe.

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